Reiner Bernstein

"Judensau" - Ikonographien
zur Gestalt der mittelalterlichen Demütigung mit aktuellen Folgen

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Teil 4:

Von einer selbstkritischen Betrachtung, die sich vom gleichzeitigen eigenen Umgang mit Schweinen in der Landwirtschaft und vom Verzehr ihres Fleisches nicht beirren ließ, waren die christlichen Akteure weit entfernt. Ja, während sie sich ungehemmt davon ernährten, gaben sie die Juden durch die Identifizierung mit dem Dreck der Tiere (für den Kirchenlehrer Augustinus, 350 - 430, waren die Juden "aufgerührter Schmutz“) nicht nur der hemmungslosen Verachtung preis - wohl wissend, dass ihnen ihr Verzehr aufgrund der Unreinheit ein Gräuel sein soll (Lev. 11,7, Deut. 14,7 f.) -, sondern bekräftigten, dass die Mütter aller Juden Säue seien, wie die Ferkel auf einem Holzschnitt in Breisach bekannten. So kam es nicht von ungefähr, dass beispielsweise die Sau in der Kathedrale von Brandenburg menschliche Gesichtszüge trug: Hier verband sich der religiöse Triumphalismus mit der Behauptung der Intimität mit Tieren - eine todeswürdige Perversion gemäß Ex. 22,18 - sowie der Gleichsetzung der Sau mit dem göttlichen Namen und dem Talmud, der schriftlichen Fixierung rabbinisch-exegetischer Erörterungen in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten.

Andere Blutbeschuldigungen, so die Variante der Hostienschändung, wurden in der englischen Stadt Norwich (1144) und dem württembergischen Rottingen (1298) kolportiert. Mahnungen mancher Kaiser und Päpste blieben vergeblich. Noch 1891 wurde im niederrheinischen Xanten die Ritualmord-Legende - "Affäre Buschhoff“, benannt nach dem jüdischen Metzger - neu aufgetischt. Es kam zu schweren Ausschreitungen gegen Juden und jüdische Friedhöfe. Neun Jahre später wurde die Legende im westpreußischen Ort Konitz kolportiert.

"Wenn es zu einem guten Christen gehört, die Juden zu verabscheuen, dann sind wir alle gute Christen“, ermutigte der als Humanist gefeierte Erasmus von Rotterdam (um 1466 - 1536) seine Gemeinde. In seiner Anklageschrift "Von den Juden und ihren Lügen“ aus dem Jahr 1543 konnte sich Martin Luther auf das Markus-Evangelium 5,1-20 berufen, in dem Jesus die bösen Geister in eine Schweineherde fahren lässt. In seiner Polemik an die Juden wandte sich der Reformator direkt an die Juden: "Ihr solltet allein die Bibel lesen, die der Sau unter dem Schwanz stehet, und die Buchstaben, die daselbst herausfallen, fressen und saufen. Das wäre eine Bibel für solche Propheten, die das Wort der göttlichen Majestät, das man mit allen Ehren, Zittern und Freuden hören soll, so säuisch zerwühlen und so schweinisch zerreißen.“ In einer Replik auf eine zeitgenössische hebräische Apologetik "Geschichte Jesu“, die dessen Wunder auf seine List zurückführte, Gott zu kopieren, bemerkte Luther unter Bezugnahme auf das Sandsteinrelief an der Stadtkirche in Wittenberg: "Es ist hier in Wittenberg an unserer Stadtkirche eine Sau in Stein gehauen, unter der junge Ferkel und Juden liegen, die saugen. Hinter der Sau steht ein Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor, und mit seiner linken Hand zieht er den Schwanz über sich, bückt sich und schaut mit großem Fleiß der Sau unter den Schwanz in den Talmud hinein, als wollte er etwas Scharfes und Sonderliches sehen. Daselbst haben sie gewiss ihren Gott.“

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