Christliche Sauerei?

"Judensau"-Skulpturen an deutschen Kirchen -
Intervention zum aktuellen Umgang mit symbolischen Wurzeln des Antisemitismus:

Es ist ein Kreuz mit den Saubildern an und in deutschen Kirchen. An mehr als 25 Kirchen existieren Skulpturen mit der Darstellung einer Sau, an deren Zitzen Juden – erkennbar an den ihnen im Mittelalter verordneten spitzen Hüten - saugen und sich am After des Tieres zu schaffen machen.

Diese Skulpturen stammen aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert und sind Ausdruck einer extremen Judenfeindschaft, deren Folge viele Pogrome und schließlich die Verbreitung eines Antisemitismus waren, der im Auschwitzsystem und in der Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis gipfelte. Die Darstellung von Juden in körperlicher Gemeinschaft mit einer Sau ist wohl etwas anderes als religiöse Feindseligkeit. Sie denunziert sie als abartig, spricht ihnen menschliche Würde und Rechte (diesseits wie jenseits) ab und setzt sie Tieren gleich, die einerseits – nicht nur den Juden – als "unrein" galten und die andererseits zur eigenen Befriedigung abgeschlachtet werden dürfen. Das ‚christliche’ Schmähwort "Judensau", wurde zu einem gebräuchlichen Kampfbegriff, den die deutschen Antisemiten und Nazis übernahmen.

19 dieser Skulpturen befinden sich heute in deutschen Städten, die übrigen in ehemals deutschen Städten oder deutschem Einflussbereich. Es sind weitere verhetzende und judenfeindliche Skulpturen und Bilder in und an Kirchen bekannt, wie in Warburg/Deutschland, Metz/Frankreich oder Aerschot/Belgien, die Juden mit obszönen Szenen oder Tieren in Verbindung bringen. Das besonders niederträchtige "Judensau"-Motiv ist eine deutsche Besonderheit und fand durch Jahrhunderte hindurch weite Verbreitung in Holzschnitten, Spielkarten, Flugblättern, Postkarten und im allgemeinen Sprachgebrauch – nicht nur der Nazis.

Eine der übelsten Hetzerein gegen Juden stammt von Martin Luther, der eine Hass-Predigt zur Wittenberger "Judensau"-Skulptur hielt, in der er sich einiger Fäkalausdrücke bedient. Vielleicht liegt in der Obszönität des Bildes der Grund für seine Popularität bei den Deutschen – erst bei den Christen und dann bei den Nazis.

Bezeichnender Weise gibt es eine einzige systematische kunsthistorische Untersuchung zu diesen Objekten (Isaiah Shachar, "The Judensau. A medievial anti-Jewish motif and its history.”, London 1974), die bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wurde.

Nach heutigem Rechtsverständnis erfüllen die Saubilder des christlichen Judenhasses den Straftatbestand der Volksverhetzung. Der Umgang der zuständigen kirchlichen und staatlichen Stellen mit diesen Skulpturen ist unsicher und zwiespältig. In den meisten Kirchenführern werden sie gar nicht erwähnt, in einigen nur ganz knapp und lapidar beschrieben – so als handle es sich um ein Relief ohne besondere Bedeutung.

Nur an einem einzigen Standort (Wittenberg 1988) wurde eine kommentierende Skulptur dazugesetzt, über das Hohnbild informiert und ein Faltblatt in deutsch und englisch herausgegeben, das sich unmissverständlich vom Hass und der Verachtung der Skulptur distanziert. In Lemgo gibt es im Innenraum der Kirche seit einigen Jahren neben der Skulptur eine Tafel.

Veranlasst durch nachdrückliche öffentliche Interventionen, die ich seit einigen Jahren meistens zusammen mit Günter Wangerin durchführte, fühlen sich mancherorts kirchliche und staatliche Institutionen bemüßigt, über Tafeln und Texte nachzudenken. Es sind zumeist Produkte, die so dürftig sind wie widerwillig erfüllte Hausaufgaben. Da wird z.B. wie in Regensburg um Verständnis geworben für den mittelalterlichen Judenhass. Kaum ein Wort von Verantwortung und Bedauern.

2001 begann ich mit einer Aktion in Köln gemeinsam mit dem Historiker Reiner Bernstein, die Verantwortlichen dazu aufzufordern, die obszönen judenfeindlichen Skulpturen mit einem unmissverständlich distanzierenden Text zu versehen. Mit zwei am Körper getragenen Tafeln mit der Aufschrift "Judensau im Kölner Dom" und Informationsblättern machte ich am 20. Juni 2002 vor dem Kölner Dom Besucher und Passanten auf das antijüdische Hohnbild im Chorgestühl des Kölner Doms aufmerksam und fragte, wie man ihrer Meinung nach damit umgehen solle. Ich sprach mit etwa 120 überwiegend jungen Menschen, die entsetzt und empört waren und sich für eine Kommentierung oder Entfernung dieses Schandmals der Kirche aussprachen. Die Dombaumeisterin Prof. Schock-Werner ließ den Dom zusperren, alarmierte die Polizei und bezeichnete die Kunstaktion als "geschmacklos". In dem Hohnbild erkannte sie nur ein "wertvolles Kunstwerk", das sie ebenso wenig geschmacklos fand wie den Begriff oder die Hakenkreuze, die sich am Dom befinden, weil man es in der NS-Zeit offenbar als geschmackvoll empfand, auf den Schlusssteinen nicht nur die Jahreszahl sondern auch das Nazi-Symbol einzugravieren. In keinem der gedruckten Domführer war das judenfeindliche Kampfbild überhaupt erwähnt. Weder der Dompropst, noch Kardinal Meisner oder Kardinal Lehmann hatten etwas dazu zu sagen. Nachdem Papst Benedikt in diesem Jahr in Köln den Dom mit der unkommentierten Sau besucht und die Verbesserung des Verhältnisses zu den Juden angekündigt hatte, baten wir ihn um eine Stellungnahme und seine Unterstützung. Wir warten auf eine Antwort.

In Cadolzburg bei Nürnberg wollte der Bayrische Staat ein deutsches Burgenmuseum bauen. Am Burgtor gibt es ein Relief mit der flächenmäßig größten judenfeindlichen Sauerei. Dort lassen sich gerne Hochzeitspaare fotografieren. Im Burghof finden Konzerte statt. Nachdem die Bayerische Schlösserverwaltung es strikt abgelehnt hatte, dort eine distanzierende Tafel anzubringen, wurde ich gemeinsam mit Günter Wangerin aktiv. Wir standen als sandwichmen mit den Schriftzügen "Judensau an der Cadolzburg" am Eingang vom idyllischen Städtchen zur Burg und sprayten das Wort in weißer Farbe als optische Stolperschwelle aufs Pflaster. Das versetzte die christlichen Lokalpolitiker in helle Aufregung. Der Landtagsabgeordnete erklärte uns für Idioten und versicherte, dass dort nie eine Tafel angebracht würde. Der Bürgermeister erklärte die öffentliche Straße zum Privatgrund und telefonierte hektisch die Polizei herbei. Die löschten dann gemeinsam mit der Feuerwehr das Wort aus. Der Finanzminister hingegen ordnete nach einigem Hin und Her an, dass doch eine Tafel angebracht werde. Da wurden dann von inkompetenten Beamten (die natürlich jede Unterstützung unsererseits zurückwiesen) unsägliche, falsche, missverständliche und jede Verantwortung meidende Texte verfasst.

In Nürnberg, Heilsbronn und Regensburg führten wir ähnliche Aktionen durch. In Nürnberg wurde ein Faltblatt herausgegeben mit der wahrheitswidrigen Behauptung, Nürnberg habe bei der Judenverfolgung keine besondere Rolle gespielt. Das ist so wahrheitswidrig wie die Behauptung des Pfarrers Schorr, dass der Präsident der jüdischen Gemeinde einverstanden damit sei, keine Tafel anzubringen. Selbst das geschichtsklitternde Infoblatt ist aber nur auf beharrliche Nachfrage zu bekommen. Vielleicht weil man sich inzwischen dafür geniert?

In Regensburg wurde nach über langer Weigerung widerwillig eine Tafel angebracht – weit weg von der Sauskulptur am Dom – die so missverständlich ist, dass man sie als Werbung um Verständnis für den mittelalterlichen Judenhass auffassen kann.

In Wimpfen in der Diözese Mainz an der Ritterstiftkirche wurde ein riesiger Wasserspeier mit der Darstellung christlicher Judenverachtung vor 10 Jahren durch eine funkelnagelneu in Sandstein gehauene Replik ersetzt. Angeblich wussten weder die Kunsthistoriker des Diözesanmuseums noch die Bischöfe, welche Infamie sie da erneuerten. Das Original gaben sie allerdings gleichzeitig mit einem schriftlichen Leihvertrag, in dem das Ding als sog. "Judensau" benannt ist, an das Museum der Stadt Bad Wimpfen. Dort ist es ordentlich beschriftet und ausgestellt. Nun bemüht man sich um einen Textentwurf für eine Tafel, der so wenig wie möglich besagt.

In Zerbst in Sachsen-Anhalt gibt es gleich zwei Sauereien – eine im Museum und eine an der Ruine der Kirche St. Nicolai, die erstaunlich gut erhalten ist. Der Vorstand der Gesamtkirchengemeinde Zerbst will nichts öffentlich erklären – weder die heutige Haltung der Christen zur eigenen historischen Judenfeindschaft noch zum anwachsenden Antisemitismus in der eignen Umgebung. Da wird die Gefahr ins Blaue gemalt, man könne einen "Wallfahrtsort oder Sammelpunkt an symbolträchtiger Stelle schaffen für Personen, die nationalistischen und/oder judenfeindlichen Gedanken anhängen." Man wolle auch "keinen Vorschub leisten, dass diese Skulptur nicht auch noch zerstört wird, entweder durch Souvenirsammler oder Leute, die meinen das Antisemitismusproblem dadurch zu lösen, indem sie das störende Objekt zerstören." Durch Schweigen, Feigheit und Wegducken ist das Problem des Antisemitismus nun allerdings erst recht nicht zu lösen – wie Geschichte und Gegenwart zeigen. Es kommt sicher auf die unmissverständliche Formulierung eines Textes an, damit eine Tafel am Zerbster Saubild nicht zu einem Versammlungsort für Antisemiten wird. Aber das lässt sich machen und wir sind dabei gerne behilflich.

Texte auf Tafeln und in Faltblättern müssen den furchtbaren historischen Kontext der Hetzskulpturen mit Ausgrenzung, Erniedrigung, Vertreibung und Pogromen benennen und klare Worte zur Verantwortlichkeit für die Geschichte sowie eine entsprechende Schlussfolgerung und Absichtserklärung für Gegenwart und Zukunft enthalten. Für Regensburg, Zerbst und Nürnberg haben wir solche Textvorschläge entworfen:

"Hier an der Kirche St. Sebald wurde im 14. Jahrhundert eine Hohnskulptur, eine sog. "Judensau" angebracht. Dargestellt wird ein Schwein, an dessen Zitzen Juden saugen. Damit wurden Juden von Christen auf obszöne Weise herabgewürdigt und dem als unrein geltenden Tier gleich gesetzt.

Der im Christentum Jahrhunderte lang verbreitete und geschürte Hass gegen Juden führte zu Vertreibungen, zu Raub, zu Pogromen - wie 1347 hier in Nürnberg - und schließlich zum Mord an den europäischen Juden durch die Nazis. Diese Schuld ist unauslöschlich. Wir werden stets darauf achten, dass die Würde und die Rechte aller Menschen gewahrt werden. Wir werden uns allen Anfängen von Ausgrenzung, Entwürdigung oder Antisemitismus in diesem Land entgegenstellen.

Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Sebald, 2005."

Warum tun sich heute evangelische und katholische Christen auch in verantwortlichen Positionen ebenso wie staatliche Instanzen so schwer, sich ganz selbstverständlich und öffentlich gegen die steinerne und hölzerne Judenfeindschaft an deutschen Kirchen zu erklären? Warum so viel Zögerlichkeit und Unsicherheit? Ist es Angst vor den Antisemiten in den eigenen Kreisen? Oder will man die historische Verantwortung der eigenen Institution nicht zugeben? Ist es Feigheit vor Neonazis und Drückebergerei?

Die Deutsche Bischofskonferenz hat eine interne Studie und einen Textentwurf in Auftrag gegeben, die Evangelische Kirche Deutschland hüllt sich bisher noch ebenso wie der Papst in Schweigen.

Wir haben angeregt, dass man sich zusammensetzt und Form und Inhalt von öffentlichen Zeichen und Texten erarbeitet. 2006 werden voraussichtlich zwei Tagungen zum Thema stattfinden.

Mit unserem Projekt, das eine Förderung durch den Fonds Soziokultur erhielt, haben wir die Diskussion über einen angemessenen Umgang mit den sog. "Judensau"-Skulpturen angeregt. Sie wird teilweise sehr aufgeregt, mit vielen Ausflüchten, Unsicherheiten, Peinlichkeiten und Unwahrheiten geführt. Wir hoffen, dass sich im Laufe dieser Wahrnehmungsübung und Wortsuche die notwendige ehrliche und souveräne Haltung im heutigen Umgang mit der furchtbaren Geschichte von Hass und Verfolgung sowie deren erhaltenen Symbolen einstellt.

Hinweise und Anregungen greifen wir gerne auf. Aktive und inhaltliche Zusammenarbeit und Unterstützung sind uns willkommen.

Wolfram P. Kastner