Nürnberg

P R E S S E I N F O R M A T I O N        4. Oktober 2002,

Bewahrung und Wiederherstellung der Nürnberger “Judensau” ?
Konservierung und Renovierung einer christlichen Sauerei ?

Die antijüdische Hohnskulptur am Südostchor der St. Sebalduskirche in Nürnberg, eine sog. „Judensau“ wird im Zuge der Erhaltungsarbeiten an der Kirchenfassade eingerüstet, aufwändig vor dem Verfall bewahrt und mit einem neuen Taubennetz versehen. Erscheint sie danach in neuer (alter) Frische?

Eine Tafel allerdings, die das Machwerk erklären würde und eine unmissverständliche Distanzierung enthielte, ist bei den Arbeiten an der schändlichen Skulptur nicht vorgesehen.

Wir sehen darin nicht nur ein Versäumnis der Kirche, sondern der Stadt Nürnberg insgesamt.

Zwar gibt es seit August ein Faltblatt zu den judenfeindlichen Bildwerken in der Sebalduskirche, aber außen wird die „Judensau“ kommentarlos konserviert.

Das Faltblatt enthält außerdem nur einen deutschen und nicht – wie es notwendig wäre – auch einen englischen Text.

Und ein schwerwiegender Fehler ist darin enthalten: die Behauptung „Die Stadt Nürnberg, ... , spielte im Mittelalter freilich keine führende Rolle bei der Judenverfolgung.“ ist schlichtweg falsch! Nicht nur der systematisch vorbereitete und vertraglich abgesicherte Raubmord an den Nürnberger Juden von 1349 belegt das Gegenteil.

Eine öffentliche kommentierende Tafel mit einer eindeutigen Distanzierung ist mehr als überfällig! In Nürnberg ebenso wie an den vielen anderen deutschen SauOrten! Zum Abschluss der gegenwärtigen Konservierungsarbeiten muss eine solche Tafel vor der Sebalduskirche aufgestellt werden. Alles andere wäre ein kümmerliches und falsches Signal!

Wir werden – auch und gerade weil das Hohnbild derzeit bearbeitet und eingerüstet wird – mit einer SehStörung*) am Freitag, den 4. Oktober um 11.00 Uhr an der Sebalduskirche diese Forderung unterstreichen.

Wolfram P. Kastner Günter Wangerin

*) Mit einer Bodenbeschriftung und Sandwichman




Presse: dpa-Meldung vom 4.10.2002

Nürnberg (dpa) - Mit einer provokanten Aktion hat der Münchner Künstler Wolfram Kastner am Freitag auf eine antijüdische Darstellung an der Nürnberger Sebalduskirche aufmerksam gemacht. Mit Spraydosen schrieb er das Wort «Judensau» auf die Straße und wies mit einem Pfeil an der Kirchenwand auf ein im 14. Jahrhundert angebrachtes verhöhnendes Denkmal. Es zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen Juden saugen. Kastner forderte, eine Hinweistafel anzubringen. Außerdem müsse ein Faltblatt der Kirche aktualisiert und korrigiert werden.

Der Pfarrer von St. Sebald, Gerhard Schorr, kündigte Anzeige gegen Kastner wegen Sachbeschädigung an. Seiner Meinung nach wird sowohl in Führungen als auch in den ausliegenden Broschüren ausreichend auf das so genannte Hohndenkmal hingewiesen. Dort setze sich die Kirche mit der Vergangenheit auseinander und distanziere sich von den Geschehnissen. Schorr sprach von einer Selbstdarstellung Kastners.

Der Aktionskünstler hatte bereits 1998 in Nürnberg für Aufsehen gesorgt. Damals sprühte er als Erinnerung an die Bücherverbrennung von 1933 einen schwarzen Fleck auf den Hauptmarkt.




Presse: Nürnberger Nachrichten vom 4.10.2002

Aktionskünstler Wolfram Kastner ruft zu Distanzierung von antijüdischem Ungeist auf

Harsche Kritik an „Sau-Skulptur“

Plakative Anprangerung von mittelalterlicher Darstellung an St. Sebald – Bloße Selbstdarstellung?

Erneut hat sich der Münchner Künstler Wolfram Kastner in Nürnberg mit einer plakativen Aktion in Szene gesetzt: Mit dem aufs Pflaster gesprühten Schriftzug "Judensau“ und einem Pfeil an der Wand von St. Sebald wies er auf eine judenfeindliche Darstellung aus dem 14. Jahrhundert hin, die seiner Ansicht beseitigt werden müsste.

Die Steinskulptur auf der Ostseite des Hallenchors der Pfarrkirche zeigt Juden, die an den Zitzen eines Schweins saugen – eine Verhöhnung aus dem Ungeist des mittelalterlichen Antijudaismus. Kastner zieht die Linie von der "gewalttätigen Geschichte des Christentums“ bis zur systematischen Verfolgung und Vernichtung von Millionen Juden in der NS-Zeit und fragt, ob solch "ehrverletzende Machwerke“ nicht entfernt werden sollten.

Die, so Kastner, "kirchliche Sau-Skulptur“ war als Motiv im späten Mittelalter weit verbreitet; allein in Deutschland haben sich rund zwei Dutzend Beispiele erhalten. Aber nur an der Wittenberger Stadtkirche weist seit einigen Jahren eine Tafel im Boden auf das problematische Erbe hin und signalisiert Reue und Distanz. Wenigstens ein solches Zeichen mit einem „deutlichen Kommentar“ fordert Kastner auch für Nürnberg. Zudem kritisiert er die Erläuterungen bei Kirchenführungen und in einem nur in Deutsch erhältlichen Faltblatt in der Kirche als unzureichend.

Der Sebalder Pfarrer Gerhard Schorr wies die Vorwürfe Kastners zurück und warf dem Künstler Selbstdarstellung vor. Kastner müsse für die Reinigung des Mauerwerks aufkommen und werde wegen Sachbeschädigung angezeigt.

Vor vier Jahren bereits hatte der für seine provokanten Auftritte bekannte Künstler zur Erinnerung an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten mit einem schwarzen Fleck auf dem Hauptmarkt einen Denkanstoß zu geben versucht. Nach einigem Hin und Her erließ ihm die Stadt damals die Rechnung für die Beseitigung des „Brandflecks“; der Stadtrat lehnte aber auch einen Ankauf der "Installation“ ab.

WOLFGANG HEILIG-ACHNECK
© NÜRNBERGER NACHRICHTEN
5. Oktober 2002




Presse: Süddeutsche Zeitung vom 4.10.2002

Künstler-Protest gegen „christliche Sauerei“

Nürnberg – Mit einer Kunst-Aktion hat der Münchner Maler und Aktionskünstler Wolfram Kastner gegen eine antisemitische Hetz-Figur am Ostchor der evangelischen Sebalduskirche in Nürnberg protestiert. Dort befindet sich an einem Pfeiler in rund sieben Metern Höhe eine so genannte „Judensau“. Die mittelalterliche Schmähung zeigt Juden, die an den Zitzen des Schweins saugen. Seit vielen Jahren forderte der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von Nürnberg, Arno Hamburger, von der Kirchengemeinde das Anbringen einer Informationstafel. Auf ihr solle der Hetz- Charakter der Darstellung erklärt werden.

Der Pfarrer der Sebalduskirche, Gerhard Schorr, lehnt das ab. Stattdessen weist ein im Gotteshaus ausliegendes Faltblatt auf den Hintergrund der Spottfigur hin. Hamburger gibt sich damit nicht zufrieden. Der SPD- Stadtrat betritt die Kirche gegenüber dem Rathaus nicht mehr zu offiziellen Anlässen. Kastner, der von einer „christlichen Sauerei“ spricht, wählte für seinen Protest einen besonderen Anlass. Seit gestern tagen im Rathaussaal die Teilnehmer einer Internationalen Konferenz zur Förderung von Toleranz und Menschenrechten. Sie werden das aufs Straßenpflaster gesprühte Wort Judensau und den Hinweis-Pfeil an der Kirchenwand nicht übersehen.

Vor vier Jahren hatte der Aktionskünstler mit einem „Brandmal“ auf dem Nürnberger Hauptmarkt an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten im Jahr1938 erinnert. Damals stellte die Stadt zunächst Schadensersatzansprüche, auf die sie dann aber verzichtete. Pfarrer Schorr jedoch kündigte eine Anzeige wegen Sachbeschädigung an. Die christliche Juden-Schmähung findet sich nach Auskunft des Landesamts für Denkmalschutz noch an anderen Kirchen in Bayern, unter anderem am Regensburger Dom.

Peter Schmitt
Süddeutsche Zeitung, Seite Kunst und Kultur, Samstag, 5. Oktober 2002