Nürnberg

Kritik am Faltblatt der Gemeinde

Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Sebald hat zu der antijüdischen Hohnskulptur (“Judensau“) am Südostchor der Kirche ein Faltblatt herausgegeben, das in der Kirche aufliegt.

Wir anerkennen die gute Absicht, halten aber ein Faltblatt, das nur im Inneren der Kirche nach einigem Suchen zu finden ist, für ungenügend. Es wirkt mehr wie eine Selbstbeschwichtigung als wie ein deutliches öffentliches Zeichen.

Das Mindeste wäre gewesen, dass dieses Faltblatt auch in englischer Sprache für Besucher der Stadt aufliegt; an gut sichtbarer Stelle und in Verbindung mit einer erklärenden zweisprachigen Tafel.

Die entwürdigende Sau-Skulptur bleibt und wirkt weiterhin an der Fassade der Kirche – in aller Öffentlichkeit und in ihrem ursprünglichen verletzenden und verächtlichem Sinn. Das bleibt unverändert.

Wenn dieses steinerne Dokument eines christlichen Ungeistes dort bleibt und nicht ins Innere der Kirche verlegt wird, dann gehört auch eine Erklärung und Stellungnahme dort öffentlich auf einer Tafel (wie in Wittenberg!) angebracht und nicht schamhaft in der Kirche ausgelegt. Ist aber die Scham der heutigen Kirchengemeinde vor der Öffentlichkeit zu groß, dann muss auch die Sau-Skulptur ins Kircheninnere verlegt werden. Alles andere ist unglaubwürdig und halbherzig.

Oder ist Furcht vor antisemitischen Schmierereien und Vorsicht vor dem heutigen Antisemitismus der Grund für den Rückzug ins Innere der Kirche? Gerade angesichts dieses fortlebenden Ungeistes sind aber nicht Rückzüge sondern deutliche öffentliche Stellungnahmen erforderlich.

Zu fragen ist dabei auch, wo die Rücksicht auf die Würde und die Gefühle der jüdischen Menschen bleibt, die mit solchen Hohnbildern verletzt werden.

(Außen die in Stein gehauene und mit einem Netz vor Taubendreck geschützte Verachtung und innen das papierene deutsche Bedauern?)

Wir regen also ein öffentliches zweisprachiges Denkzeichen vor der Kirche an. Andernfalls soll die kirchliche Sau-Skulptur von der Außenwand entfernt und dort ausgelegt werden, wo die Faltblätter liegen.

Carl Blauhorn Wolfram P. Kastner

Institut für Kunst
und Forschung




Vorschlag für eine Tafel

Vorschlag vom Institut für Kunst und Forschung für eine Tafel, die unterhalb der antisemitischen Hohnskulptur für jeden sichtbar angebracht werfden soll, in deutscher und englischer Sprache.


Hier an der Kirche St. Sebald wurde im 14. Jahrhundert
eine Hohnskulptur, eine sog. "Judensau" angebracht.

Dargestellt wird ein Schwein, an dessen Zitzen Juden saugen.
Damit wurden Juden von Christen auf obszöne Weise herabgewürdigt und dem als unrein geltenden Tier gleich gesetzt.

Der im Christentum Jahrhunderte lang verbreitete und geschürte Hass gegen Juden führte zu Vertreibungen, zu Raub, zu Pogromen - wie 1347 hier in Nürnberg - und schließlich zum Mord an den europäischen Juden durch die Nazis.

Diese Schuld ist unauslöschlich.

Wir werden stets darauf achten, dass die Würde und die Rechte aller Menschen gewahrt werden.

Wir werden uns allen Anfängen von Ausgrenzung, Entwürdigung oder Antisemitismus in diesem Land entgegenstellen.

Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Sebald, 2005.




Brief 2005

Herrn
Stadtdekan
Michael Bammessel
Evang.-Luth. Dekanat
Bergstraße 6
90403 Nürnberg


"Judensau" an der Sebalduskirche

Sehr geehrter Herr Dekan Bammessel

Gut drei Jahre sind vergangen, seitdem wir mit einer Kunstaktion vor der Sebalduskirche in Nürnberg versucht hatten, die Öffentlichkeit auf die dort angebrachte "Judensau" aufmerksam zu machen. Wir taten dies, nachdem uns von Herrn Pfarrer Schorr mitgeteilt worden war, dass eine Hinweistafel mit entsprechendem Text in unmittelbarer Nähe der Skulptur nicht in Frage komme. Dies auch gegen den erklärten Willen von Arno Hamburger, der die Kirche nicht mehr betritt, weil man dem Wunsch der israelitischen Kultusgemeinde nach einer Tafel nicht entsprochen hat.

Herr Pfarrer Schorr hatte uns davon in Kenntnis gesetzt, dass in der Kirche ein Faltblatt mit einem distanzierenden Text zur "Judensau" ausliege, sich daher eine weitere Erklärung vor Ort erübrige.

Wir haben damals darauf hingewiesen, dass dieses Faltblatt für den Vorübergehenden unzugänglich sei und außerdem sachliche Fehler enthalte wie etwa den, dass Nürnberg keine herausragende Rolle bei der Verfolgung der Juden gespielt habe. Das Pogrom von 1389 mit der Ermordung der Nürnberger Juden, das antisemitische Hetzblatt des Julius Streicher, die Nürnberger Rassengesetze mögen als Hinweis genügen.

Bei der Kunstaktion erfolgte dann auf Veranlassung von Herrn Schorr - seiner Ansicht nach handelte es sich bei der Beschriftung um eine "Schmiererei" - eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. In der Folge wurde uns mitgeteilt, dass man die Anzeige zurückziehe, wenn die an uns ergangene Rechnung von 367,72 Euro beglichen werde. Wir haben diese Rechnung nicht bezahlt, weil wir der Ansicht waren und noch heute sind, dass der notwendige Hinweis auf ein schlimmes Versäumnis nicht kostenpflichtig sein kann, eher des Dankes würdig.

Nachdem wir zu erkennen gegeben hatten, dass wir aus den genannten Gründen die Rechnung nicht bezahlen wollten, unterließen Sie zwar eine weitere Verfolgung, teilten uns aber Anfang Januar 2003 mit, wir würden als Dialogpartner nur dann ernst genommen, wenn wir die Kosten für die Beseitigung der Beschriftung trügen. Sie versäumten es dabei allerdings nicht, klarzustellen, dass der Verzicht auf eine Hinweistafel ein unumstößlicher Beschluss des Kirchenvorstands war, woraus wir folgern, dass sich Ihre "Dialogbereitschaft" auf alles andere, nur nicht auf eine erneute Diskussion über die Anbringung einer solchen Tafel erstreckt.

Wir fassen zusammen: auch 60 Jahre nach Auschwitz ist die "Judensau" an der Sebalduskirche vor Ort unkommentiert. Eine schriftliche Erklärung der Skulptur in Form eines Faltblatts findet man nur mit Mühe in der Kirche selbst. In einer Zeit des zunehmenden Antisemitismus und des Erstarkens nazistischer Parteien halten wir das für einen Skandal.

Wir weisen Sie darauf hin, dass es inzwischen einige Kirchenverantwortliche in diesem Land gibt, die sich in der Frage antijüdischer Schmähskulpturen dialogbereit zeigen. Wir bitten Sie, es diesen gleichzutun und darauf hinzuwirken, dass in der Sache endlich etwas geschieht.

Wir möchten Ihnen noch einmal anbieten, bei der Erstellung eines entsprechenden Textes mitzuwirken. Unserer Meinung nach müsste dieser neben einer knappen historischen Darstellung mit Bezug auf die Verfolgung und Ermordung der Nürnberger Juden zu Zeiten der Erstellung der Skulptur festhalten, dass Auschwitz letztlich die konsequente Fortsetzung jahrhundertlanger Judenverfolgung war, für die auch die Kirchen mitverantwortlich sind. Er sollte neben einer Äußerung des Bedauerns und der ausdrücklichen Distanzierung den Hinweis enthalten, dass die Christen sich heute aktiv einsetzen wollen gegen Entwürdigung und Gewalt gegen Juden.

Zu Ihrer Information teilen wir Ihnen mit, dass die Initiative zur Kommentierung antijüdischer Skulpturen die ausdrückliche Zustimmung von Herrn Dr. Salomon Korn (Zentralrat der Juden in Deutschland) und Herrn Dr. Josef Schuster (Landesverband der israeltischen Gemeinden in Bayern) gefunden hat.

Das Projekt wird vom Fonds Soziokultur mit Bundesmitteln unterstützt.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfram P. Kastner           Günter Wangerin

Institut für Kunst
und Forschung