Nürnberg

Beschreibung


Am Südostchor der Nürnberger Sebalduskirche befindet sich in etwa sieben Meter Höhe an der Konsole eines Strebepfeilers eine in Sandstein gehauene, sehr gut erhaltene und anscheinend restaurierte "Judensau"-Skulptur aus dem 14. Jahrhundert, der Bauzeit der Kirche. Sie zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen Menschen saugen, die durch spitze Hüte als Juden gekennzeichnet sind.

Ein Faltblatt wird in der Kirche nur auf Anforderung ausgehändigt.

Hohnskulptur

Die antijüdische Hohnskulptur
an der Nürnberger St-Sebaldskirche

Aktion vn W. Kastner

Wolfram Kastner bei der Aktion an der Nürnberger St-Sebaldskirche


Faltblatt der Gemeinde

Das Faltblatt wird in der Kirche nur auf Anforderung ausgehändigt. Hier ein Textauszug:

Die "Judensau"

an der Sebalduskirche zu Nürnberg ist für uns ein schweres Erbe aus vergangener Zeit. Christen, die in diesem ehrwürdigen Gotteshaus ihre Heimat finden, müssen sich schämen beim Anblick der Figur. Juden beleidigt und schmerzt diese Darstellung.

Die "Judensau", eine Figur aus Sandstein, befindet sich in etwa sieben Metern Höhe an der Konsole eines Strebepfeilers des Ostchors. Sie zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen Menschen saugen. Gemeint sind Juden. Sie werden durch dieses obszöne Schmähbild verhöhnt; denn nach den Geboten ihrer Religion gilt das Schwein als unreines Tier, dem sie sich fern zu halten haben.

Die Figur ist in der Zeit des Chorbaus entstanden, rund zwanzig Jahre nach dem Nürnberger Judenpogrom von 1349, dem 562 Juden zum Opfer fielen: Männer, Frauen, Kinder, Familien mit bis zu zwölf Personen. Die Überlebenden verjagte man aus der Stadt. Das Judenviertel wurde dem Erdboden gleich gemacht, um Platz für den heutigen Hauptmarkt zu schaffen. An Stelle der Synagoge wurde 1352 die Frauenkirche errichtet. Für dieses Pogrom sicherte König Karl IV. den Nürnbergern schon im Voraus Straffreiheit zu.

Die Darstellung an der Sebalduskirche steht in einer Tradition der Verfolgung und Vernichtung von Juden, die im Holocaust des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichen sollte.

Die Stadt Nürnberg, mit deren Namen die nationalsozialistischen "Nürnberger Rassegesetze" unrühmlich verbunden sind, spielte im Mittelalter freilich keine führende Rolle bei der Judenverfolgung.

Darstellungen der "Judensau" finden sich vom frühen 13. bis zum 18. Jahrhundert im gesamten mitteleuropäischen Raum: in den Domen von Brandenburg (älteste Darstellung), Köln, Regensburg und Upsala, im Heilsbronner Münster, an der Stiftskirche in Bad Wimpfen, an der Stadtkirche von Bayreuth und an vielen anderen Orten. An der Stadtkirche von Wittenberg befindet sich eine Darstellung, zu der Martin Luther einen sehr polemischen, gegen die Juden gerichteten Kommentar geliefert hat.

Christliche Judenfeindschaft war im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit allgemein verbreitet.

Stellungnahme des Kirchenvorstandes

Die antisemitischen Darstellungen an der Nürnberger Sebalduskirche spiegeln den Ungeist, der auch in Nürnberg während der Pogrome von 1298, 1349 und 1499 seine unmenschliche Fratze zeigt. Damals wurden jüdische Mitbürger verfolgt, getötet, ihres Besitzes beraubt und aus der Freien Reichsstadt verjagt. Bis heute werden sie durch derartige "Kunstgüter" aus jener Zeit diffamiert, verhöhnt und beleidigt, auch wenn viele Menschen die einzelnen, symbolischen Aussagen nicht mehr verstehen.

Eine verhängnisvolle und Tod bringende Linie führt herauf bis in die jüngste Geschichte des Dritten Reiches, als die Verachtung und Verteufelung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deportation - auch aus Nürnberg - und Völkermord gipfeln.

Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Nürnberg-St.Sebald stellt sich der Herausforderung, die dieses furchtbare Erbe und seine Wirkungsgeschichte für die Stadt und ihre Kirchen bedeuten. Sie verniedlicht und verschweigt die Zeugnisse jener Verblendung nicht, die ästhetisch schön in Stein gehauen oder auf Glas und Bildtafeln gemalt worden sind. Deshalb lässt sie sie nicht entfernen.

Denn für sie sind und bleiben sie Mahnzeichen, die zum Himmel schreien, zur Buße rufen und die Gewissen schärfen sollen. Seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg versteht die Gemeinde die Sebalduskirche als "Denkmal für den Frieden". Viele gemeindliche und städtische Kirchenführer stellen die geschichtlichen Ereignisse und Zusammenhänge in schonungsloser Offenheit dar.

Seit 1999 ist St. Sebald Mitglied der Nagelkreuzgemeinschaft von Coventry: Noch klarer auf Versöhnung ausgerichtet beten wir seither an jedem Freitagmittag um 12 Uhr das "Versöhnungsgebet von Coventry".

Wer das Böse verdrängt und vergessen will, begünstigt, unbewusst und ohne es zu wollen, neue Unmenschlichkeit. Gegen Intoleranz und Menschenverachtung setzen wir auf den christlichen Geist der Reue, der Umkehr und der Versöhnung - und stellen uns in seinen Dienst.