Pressebericht über die Tagung der Buber-Rosenzweig-Stiftung und des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit:
Antijudaismus in der christlichen Kunst
vom 21.-23 Juli 2003 im Evangelischen Augustinerkloster, Erfurt.
Es ist eine Sauerei mit der Judensau! Der Münchener Aktionskünstler Wolfram P. Kastner hängt sich ein Plakat mit der Aufschrift "Judensau“ um die Schultern.
Er steht vor einer Kirche, und zieht die Aufmerksamkeit der Passanten und Kirchgänger auf ein antijüdisches Schmähbild in der Kirche. Mit vielen, vor allem jungen Leuten kommt er dabei ins Gespräch. - Hoch oben an Säulenkapitellen in und außerhalb von etwa 25 Kirchen und öffentlichen Gebäuden in Deutschland stehen sie noch immer - die Skulpturen der so genannten „Judensau“. Sie zeigen Juden mit mittelalterlichen Judenhüten, wie sie Milch an einem Schwein trinken. Obwohl es sich bei der „Judensau“ um kein Glaubensbild, sondern ein diffamierendes Bildwerk gegen Juden handelt, hängt das Bild vor allem an Kirchenwänden. Kaum haben sich bisher die Verantwortlichen der Kirchen mit einer entsprechenden Hinweistafel von diesem Schmähbild gegen Juden distanziert. In Köln, Nürnberg, Bayreuth und anderen Städten versuchte Kastner mit provokativen Mitteln eine Diskussion zu entfachen. „Vor allem junge Leute reagierten positiv und sind für eine Entfernung des Bildes,“ berichtet er. Die zuständigen Pfarrer und kirchlichen Gremien freilich lehnen es ab, die Skulptur zu entfernen oder eine Informationstafel anzubringen.
Nicht selten handelt sich Kastner für eine Malaktion sogar eine Strafanzeige ein oder er bekommt eine Rechnung für die Säuberung. „Die bezahle ich natürlich nicht. Ich habe doch nichts beschädigt, sondern wieder gutgemacht,“ meint er augenzwinkernd.
In Städten wie Frankfurt, Kehlheim, Freising und wenigen anderen wurde das Schmähbild schon vor 1945 abgenommen. Die Nürnberger Kirchengemeinde St. Sebald konnte sich zu einem Informationsblatt durchringen, das auf Anfrage erhältlich ist, das aber auch beschönigend behauptet, die Stadt Nürnberg habe im Mittelalter keine führende Rolle bei der Judenverfolgung gespielt. Auf kirchlicher Seite wird gerne der Mantel des Schweigens über das Bild gebreitet. Nur der Wittenberger Pfarrer ließ eine Informationstafel und ein Denkmal anfertigen: Martin Luther hatte sich besonders negativ bei der Diffamierung von Juden hervorgetan. Oft heißt es, eine Hinweistafel lenke nur die Aufmerksamkeit der rechten Szene auf das Bild. Doch die Wittenberger Tafel blieb bisher frei von Anschlägen, so Kastner. Häufig hält man das Bild auch für ein Kulturgut vergangener Zeiten, das es zu bewahren gelte. Kastner möchte die Schandbilder am liebsten in einer Dokumentationsstätte der Kriminalgeschichte des Christentums aufgenommen sehen.
Entfernen? Ignorieren? Erklären? - Welcher Umgang mit antijüdischen Darstellungen in der kirchlichen Kunst ist angemessen? Diesem Problem stellten sich Referenten aus Kunstwissenschaft, Theologie und Philosophie kürzlich bei einer Tagung des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Die Judensau ist leider nicht das einzige judenfeindliche Bild in Gotteshäusern. Weit bekannter sind die Symbolfiguren „Ecclesia und Synagoga“ z.B. in Straßburg oder in Bamberg. Das Figurenpaar sollte den vermeintlichen Sieg des Christentums über das Judentum demonstrieren. Der Theologieprofessor Herbert Jochum (Saarbrücken) zeigte die Wandlungen der beiden allegorischen Frauengestalten im Lauf der Geschichte auf: Schon auf Elfenbein-Miniaturen aus dem 9. Jahrhundert beginnt die ikonographische Distanzierung der Kirche von der Synagoge. Sie reicht bis hin zu Gewaltdarstellungen: Die Synagoga wird mit verbundenen Augen und mit vom Haupt gefallener Krone gezeigt, ihr Speer ist gebrochen, sie trägt ein Gewand in der Neidfarbe gelb oder Hurengewänder, sie hält einen Bockskopf in der Hand, auf manchen Bildern wird sie sogar in Beziehung mit dem Teufel gebracht. Zu den schockierendsten Bildern gehört die Ecclesia, wie sie triumphierend auf der Brust der Synagoga steht. Nicht viel besser ist das Bild des so genannten „lebendigen Kreuzes“, das mit einem Arm ein Schwert ins Herz der Synagoga stößt. Im Einzelnen wäre nachzufragen, ob derartige Mordphantasien die Judenpogrome vorbereiteten oder ob umgekehrt die Gewaltdarstellungen erst im Rückblick auf begangene christliche Untaten gemalt wurden. In der Reformations- und der Barockzeit verschwindet das Bild von „Kirche und Synagoge“ mehr und mehr.
Professor Willehad Eckert (Düsseldorf) vertiefte dieses Ergebnis durch neu entdeckte Bilder in Buchmalereien und in historischen Bibelillustrationen.
Professor Berndt Schaller (Göttingen) stellte einige der wenigen Ecclesia-Synagoga-Darstellungen vor, die seit 1945 entstanden sind. Gelungen sind z.B. die Glasfenster von Paul Weigand in der Dorfkirche St. Barbara in Bonn-Ippendorf, weil sie sich bemühen, Polemik zu vermeiden und die beiden Symbolgestalten in ein neues Verhältnis zueinander zu setzen. Es scheint jedoch kaum möglich, ein gleich berechtigtes Verhältnis von Judentum und Christentum mit diesem Figurenpaar auszudrücken. Das Judentum hat sich ohnehin nie mit dem ihm zugewiesenenen Bild der Synagoga identifizieren können.
Der Berliner Neutestamentler Professor Rainer Kampling versuchte den Zusammenhang zwischen Bibeltext und Bild herauszuarbeiten. Die Bibel gibt dabei die Motive vor, die vom Künstler ausgestaltet und oft auch vermischt werden. Eine lineare Rezeptionsgeschichte vom Text zum Bild lässt sich nicht ausmachen. Bis zur ottonischen Zeit hatte man die Kreuzigungsszene noch ohne antijüdische Motive gezeigt. Seit den Kreuzzügen wird der Ton der kirchlichen Kunst gegen die Juden plötzlich schärfer. Juden galten nun nicht mehr als die Söhne der alttestamentlichen Patriarchen, sondern als „Christusmörder.“ Kamplings These ist, dass die christliche Darstellung von der Grausamkeit von Juden eine Antwort auf die Grausamkeiten der Kreuzfahrer selbst gewesen wäre, die einen Rechtfertigungsgrund für ihre Taten suchten. Die Vorurteile gegen Juden hatten kaum einen Grund, sie entzündeten sich Kamplings Meinung nach selber. Positive Gestalten des Alten Testamentes, wie Michelangelos unbeschnittener - David wurden in der kirchlichen Kunst des jüdischen Glaubens entkleidet und als Christen vereinnahmt. Falsche Gerüchte von Hostienfreveln oder Ritualmordvorwürfe wie die Legende des Simon von Trient (1474) fanden ebenfalls weite bildliche Verbreitung.
Fragt man nach Motiven solcher Hassbilder gegen Juden, so wird häufig die Angst genannt: Angst vor der oder die Angst, das Judentum sei vielleicht doch die originale Religion. Eine große Rolle für die bildliche Verfolgung der Juden spielte natürlich auch die Lehre, die Kirche habe das Judentum ersetzt.
Die Kunstwissenschaftlerin und Volkskundlerin Michaela Haibl (Augsburg) zeigte Aspekte der Antisemitismusforschung in der Kunstwissenschaft auf. Allein 80 Werke befassten sich in den Jahren 1996-2000 mit dem Thema. Untersucht werden derzeit vier Themengebiete: antijudaistische Einzelmotive in der Kunst, nationalsozialistischer Kunstraub, Vorurteile gegen jüdische Künstler und Kunsthistoriker sowie Aspekte einer jüdischen Identität in der Kunst. Als geradezu klassisches Beispiel für den Antisemitismus in der Kunst und Kunstwissenschaft kann man die Vorgänge um Max Liebermanns Bild „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ (1879) bezeichnen, das einen großen Eklat verursachte, als sich herausstellte, dass ein jüdischer Künstler es gemalt hatte.
Professor Matthias Kohn (Essen) warf Schlaglichter auf die bildungsbürgerliche Historienmalerei im 19. Jahrhundert. Das monumentale Wandbild von Wilhelm Kaulbach „Die Zerstörung Jerusalems durch Titus“ von 1846 interpretierte er auf dem Hintergrund des zeitgeschichtlichen Antisemitismus in Kunst, Gesellschaft und Philosophie. Dabei arbeitete er weitere Bildmotive heraus, die vorhandene Vorurteile gegen Juden verstärkten: Die „Hebräerklage“, der „Einzug des Titus in Jerusalem“, die ihren Sohn verspeisende Matrone, das „Ahasver-Motiv“ des ewig rastlosen Juden.
Bemängelt wurde von Tagungsteilnehmern, dass eine Interpretation und Bewertung der christlichen Schmähbilder aus jüdischer Sicht fehlte. Der eingeladene jüdische Referent hatte aus wichtigen Gründen absagen müssen. Dieses Fehlen eines jüdischen Referenten verdeutlichte aber auch ein Dilemma des christlich-jüdischen Dialogs: Die christliche Seite muss erst deutliche und ernst gemeinte Ergebnisse vorlegen, wie sie sich von dem kirchlichen antijudaistischen Bildgut distanzieren will. Der geeignete Weg lässt sich aber nur schwer ohne die Begleitung eines jüdischen Gesprächspartners finden.
Was also tun mit den christlichen Zerr- und Schmähbildern über Juden? Uneinig war man sich am Ende der Tagung über den Grad der Provokation, mit der man solche Bilder in eine breiteres öffentliches Bewusstsein rufen sollte. Professor Eckert hatte mit einer fundierten Aufarbeitung in Trient Erfolg, die Kapelle zur Verehrung des Simon von Trient wurde geschlossen. Er wirbt dafür, sich der christlichen Schuldgeschichte zu stellen, jedoch sachlich und nicht provokativ.
Professor Jochum beschreitet in seiner Arbeit den Weg der Ausstellung als Mittel, eine breite Öffentlichkeit zu informieren und mit Hilfe von Begleitprogrammen für Schüler ein Bewusstsein zu schaffen, oder auch die Regionalgeschichte aufzuarbeiten.
Professor Kampling wies darauf hin, dass im Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen worden sei, der Gottesdienst habe in einer würdigen Atmosphäre stattzufinden. Daher gehöre die „Judensau“ nicht in die Kirche, sondern ins Museum.
Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass es bei der Verbannung des Bildes ins Museum nur zu einer historischen Auseinandersetzung komme. Mit den kirchlichen antijudaistischen Bildern müsse man sich aber vor allem theologisch auseinandersetzen und das am besten innerhalb des Kirchenraumes. Es genüge auch nicht, nur bei Kirchenführungen auf das Problem hinzuweisen. Denn 90% der Urlauber, die Kirchen besuchen, gingen ohne Guide in die Kirche. Daher bedürfe es eines informativen und distanzierenden Schildes neben einem schlimmen antijudaistischen Bildwerk. Als erstes müssten sich aber die Kirchengemeinden vor Ort mit dem Schanderbe auseinandersetzen.
Der Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wird an die Kirchen ein Schreiben richten mit der Bitte um eine Auseinandersetzung mit den christlichen Bildwerken.
Bisher haben nur die Synoden der Kirchen von Brandenburg und Bayern eine offizielle Stellungnahme abgegeben. Wolfram Kastner hält nichts von „Hinterzimmer-Politik.“ Er setzt weiter auf positive und öffentlichkeitswirksame Provokationen. Geplant sind zukünftige Aktionen im mittelfränkischen Heilsbronn und in Cadolzburg. Auf der Tagung wurde deutlich, dass sich die Kirchen in Zukunft noch mit einem „Schuttberg von Schuldgeschichte“ auseinandersetzen werden müssen.
© Oliver Gußmann, Rothenburg ob der Tauber
"Ich bin dafür, dass das Bild der Judensau in der Kirche bleibt. Bei der Verbannung des Bildes ins Museum kommt es nur zu einer historischen Auseinandersetzung. Mit den kirchlichen antijudaistischen Bildern muss man sich aber vor allem theologisch auseinandersetzen und das am besten innerhalb des Kirchenraumes. Es genügt auch nicht, nur bei Kirchenführungen auf das Problem hinzuweisen. Denn 90% der Urlauber, die Kirchen besuchen, gehen ohne Guide in die Kirche. Daher bedarf es eines informativen und distanzierenden Schildes neben einem solch schlimmen antijudaistischen Bildwerk. Als erstes müssen sich die Kirchengemeinden vor Ort mit dem Schanderbe auseinandersetzen."