Im Chorgestühl des Erfurter Domes St. Marien befindet sich eine diffamierende Schnitzarbeit aus dem 14. Jh. Dargestellt werden zwei Menschen im Kampf, der eine mit Lanze bewaffnet zu Pferde, der andere mit Spitzhut als Jude gekennzeichnet auf einem Schwein reitend. Die Figuren stehen für die vermeintliche Überlegenheit der christlichen Religion über die jüdische.
Antisemitische Hohnskulptur
Erfurt 22. Juni 2003 - Besuch des katholischen Domes St. Marien
Bei einer Führung durch den katholischen Dom St. Marien in Erfurt während der Tagung der Gesellschaften für christlich jüdische Zusammenarbeit erklärte der anwesende Geistliche auf meine Frage, man wolle keinen Hinweis auf diese „Judensau“-Skulptur, weil sie dann beschädigt oder von Nazis entdeckt werden könne. Das Relief im Chorgestühl werde auch aus diesem Grunde bei Führungen nicht erwähnt.
Im Dom gibt es einen jüdischen Leuchter. Auf Nachfrage sagt derselbe Geistliche, man wisse nicht genau, ob der Leuchter aus einer Synagoge oder aus einem Privathaus stamme.
Auf den Hinweis eines Teilnehmers, da sei doch einerlei und der Leuchter müsse doch zurückgegeben werden an die jüdische Gemeinde, erwidert der Geistliche, dafür sei er nicht zuständig. Das werde ganz oben entschieden und sei ein heikle Angelegenheit.
Wolfram P. Kastner
Das Figurenpaar Ekklesia - Synagoge am Jungfrauenportal des Triangels (um 1330), die Darstellung einer "Judensau" am Chorgestühl (vor 1340) und eine Kreuzigungsdarstellung auf einem Tafelgemälde an einer Säule im Langhaus (um 1520) sind Ausstattungsstücke des Erfurter Doms St. Marien mit judenfeindlichen Inhalten. Wegen der unheilvollen Wirkungsgeschichte von Verleumdung und Judenhass in Europa, gipfelnd im Holocaust des 20. Jh., soll dazu aus Sicht der heutigen christlichen Gemeinde Stellung genommen werden.
Der Hohe Chor war für die Gottesdienste der Stiftsgeistlichen und der Schüler der Domschule reserviert. An den Westwangen des eichenen Chorgestühls wird Theologie in geschnitzten Bildern sichtbar: Die Heilsgeschichte der Menschheit. Auf der Südseite kann man Sündenfall und Erlösung erkennen sowie auf der Pultwange Christus als Weltenrichter. Gegenüber, auf der Nordseite, geht es um Lobpreis und Ehre Gottes und um die Verbindung von kämpfender, irdischer Kirche mit der himmlischen Kirche. In der Herrlichkeit des Himmels thront Christus als Weltenherrscher auf der Pultwange.
Der Psalmist König David mit der Harfe befindet sich an der Spitze musizierender Engel und Menschen in Medaillons zwischen Hopfenranken. Im unteren (irdischen) Bereich wird zum Zweikampf geblasen. Ein Reiter auf einem Pferd ist durch das Symbol des Fisches auf seinem Schild als Christ gekennzeichnet. Er rennt mit eingelegter Lanze gegen einen Mann, der auf einem Schwein sitzt. Dieser ist durch einen spitzen Hut als Jude erkennbar. Er ist eindeutig der Unterlegene, der stürzen wird und nach Halt sucht. Der Typus "Judensau" bringt auf besonders demütigende Weise den gläubigen Juden mit einem für ihn unreinen Tier zusammen. Außerdem war in der mittelalterlichen Ikonographie das Schwein auch ein Sinnbild des Bösen und galt als Reittier der Unzucht.
Die Psalmen, die im Chorraum während des Stundengebets mehrmals täglich zur Ehre Gottes erklangen und auch heute im Gottesdienst hier gesungen werden, haben ihren Ursprung im Judentum. Dieses wird durch die allegorische Darstellung des ungleichen Kampfes und besonders durch das Bild des Juden auf einer Sau herabgewürdigt und beleidigt.
Diese im Dom zu Erfurt noch heute sichtbaren Zeichen der abfälligen Bewertung des alttestamentlichen Bundesvolkes sind Teil einer unheilvollen Auseinandersetzung des Christentums mit dem Judentum. Sie brachte der jüdischen Bevölkerung immer wieder Einschränkungen, Feindseligkeit, Unterdrückung, Vertreibung und Tod bis hin zur Ermordung eines großen Teils des jüdischen Volkes in der Mitte des 20. Jh. unter der Ideologie des Nationalsozialismus.
Die heutige Kirchengemeinde lebt in geschichtlich geprägten Räumen. Auch wenn die katholische Kirche sich inzwischen in theologischer wie in moralischer Hinsicht von diesen Darstellungen distanziert, dürfen die Bildwerke nicht beseitigt werden, als hätte es sie nie gegeben. Sie dienen zur Mahnung und drängen zu Buße und Umkehr.
Wir stehen zu unserer Geschichte und bitten das jüdische Volk um Vergebung.
Auszug aus dem Faltblatt
"Ekklesia und Synagoge Zum Verhältnis von Christentum und Judentum",
Hrg. Dom St. Marien Erfurt, 2005
Das Faltblatt liegt ganz offensichtlich nicht aus. Ich nehme an zwei Führungen teil. Die Frage der "Judensau" wird wohl je nach Belieben von den Führern erwähnt oder auch nicht.
1. Führung: Ein ca. 60-jähriger, wortgewaltiger Mann (immer wieder "witzige" Bemerkungen) erklärt sehr eingehend den rechten Seitenflügel des Chorgestühls mit der Winzerszene, den linken Seitenflügel streift er nur mit der Bemerkung, da seien Musikszenen zu sehen. Ich spreche ihn auf die Darstellung der "JS" an diesem Teil des Flügels an. Das Thema ist Ihm sichtlich unangenehm. Er wendet sich gleich von mir ab und den weiterziehenden Dombesuchern zu und meint nur kurz angebunden, da seien Ecclesia und Synagoga dargestellt. Ende. Ich komme gar nicht mehr dazu, weiter zu fragen.
2. Führung. Eine ältere Frau führt sie durch. Sie geht von sich aus auf die Darstellung der "Judensau" ein. Meint, die Schnitzerei täte "ihnen" sehr weh (wobei nicht klar ist, wem sie weh tut). Es handle sich um eine eindeutig gegen das Judentum gerichtete Skulptur. Einen Zusammenhang zur Geschichte der Pogrome und zum Holocaust stellt auch sie nicht her. Ich frage sie nach dem Faltblatt. Das liege in der Sakristei aus, sagt sie. Man habe bewusst entschieden, es nur auf Nachfrage herauszugeben. Man wolle das Thema nicht hochspielen,
Günter Wangerin